15.10.1998: Die weibliche Brust muss großgeschaut werden

Beziehungskisten mit der italienischen Kabarettistin Francesca de Martin - Wenn die Oma wegen RAI in einem deutschen Park stirbt...

Die deutschen Männer haben ein gestörtes Verhältnis zur Weiblichkeit. Das ist die deutsche Grundproblematik, wie die italienische Kabarettistin Francesca de Martin im Oktober bei uns deutlich machte. Begründet liegt das Missverhältnis der Geschlechter in der deutschen Grammatik. Das Kind, das Mädchen, das Fräulein, die Frau, der Drachen. Menschen femininen Geschlechts - was sagst jetzt eigentlich du zur Menschwerdung der Frau? - machen in der Regel im Lauf ihres Lebens weit vor den Wechseljahren und bis dahin einen Genus-Wechsel durch, der sich in der Psyche niederschlagen muss. Wenn das Mensch mit Vollzug der Hochzeit von dem Fräulein zu der Frau wird, von der Sache zum Weibe, dann lässt das schon tief in der Deutschen Seele blicken. Wie rächt sich da die Frau? Mit Feminismus, meint Francesca. Allerdings ist sie da auch ein wenig auf dem Holzweg. Grammatik ist nicht nur Sache der Männer. Jahrhunderte lang haben Frauen nicht gegen ihre Versächlichung protestiert, sich gar keine Gedanken darüber gemacht. Selm schuld. Aber in Italien ist alles ganz anders. In Italien werfen die Männer nonverbale Gratulationsblicke auf die weiblichen Brüste, wodurch diese an Volumen gewinnen. Gemessen wird in der Einheit "Greif" - ein Greif, zwei Greif und so weiter. Deutsche Männer kennen diesen Blick gar nicht - deshalb hat sich Francis Oberweite auf einen halben Greif reduziert. Dramatisch. Aber die Männer, die sich das Programm der Italienerin gegeben haben, konnten im Club immens dazulernen, wie man nonverbal gratuliert. Francesca de Martin spielt in ihrem Programm "Guckt ja keiner" mit dem Spannungsfeld Beziehung. Liegt auch irgendwo nahe. Da kann fast jeder mitreden und lachen ist da auch mal ganz gesund. Und die Akteurin kann dabei ihr riesiges schauspielerisches Potential ausleben - stimmlich, pantomimisch, gestisch. Intensive Studien der deutschen Seele und der deutschen Sprache geben ihr einen unerschöpflichen Fundus, den Deutschen liebevoll zu karikieren. Sie bedient sich der Gestalt ihrer Oma, den für uns typisch italienischen Standpunkt zu schildern. Und der Oma kann man ja einfach nie böse sein. Wie die drauf ist! Naiv genug, sich einen italienischen Fernsehapparat ins Rheinland schicken zu lassen, damit sie auch mal RAI empfangen kann. Das kostet die Oma das Leben. Die Videos mit Nachrichtensendungen, die sich Franci aus Italien schicken lässt, damit sie ihre Ruhe vor der Oma hat, sind nicht mehr ganz up to date - kein Wunder nach neunwöchigem Postweg. Aber die Oma ist eisern. Was der Sprecher erzählt, ist richtig. Immerhin redet er Italienisch. Das versteht die Oma. Und drum geht sie auch im November spärlich bekleidet in den Park. RAI hat Sommer gemeldet. RAI hat recht und die Oma erfriert. Partnersuche ist eines der großen Themen de Martins. Klar, 16 Jahre lang fern der Heimat, da muss der Geschlechtstrieb mit dem Material, das zur Verfügung steht, befriedigt werden. Auch wenn das Material nicht einmal einfachste Übungen - wie den nonverbalen Gratualtionsblick - beherrscht. Aber leichter hat's die Italienerin auf dem Markt prinzipiell schon als ihre deutschen Konkurrentinnen, die den fatalen Drang haben, ihre Nachteile zu betonen, und sich im nachgerade niedlichen Versuch verlieren, den Mann verstehen zu wollen. Franci scheitert aber dennoch - am deutschen Mann. Die Deutschen sind so ernst. Liegt wahrscheinlich wieder an der Sprache, die klingt ja wie eine Halskrankheit. Wie einst Charlie Chaplin in "Der große Diktator" knödelt, krächzt und sauerkrautet Francesca deutsche Wortbrocken und schaut dabei auch noch drein wie Hitler. Da jagt's so Manchem einen grausen Schauer den Rücken runter. Spätestens jetzt weiß jeder im Publikum - da steht eine große Schauspielerin, wie sie in den Musentempeln gefeiert werden. Zum Feiern reichte es bei uns zwar nicht ganz - 30 Gäste sind für triumphale Auftritte etwas zu wenig -, aber dennoch war Francesca de Martin eines der Highlights des vergangenen Stiegen-Jahres.
      
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